Bayern nach dem „Tausendjährigen Reich“. 70 Jahre Bayerische Verfassung
Angesichts der Modernität und Radikalität vieler ihrer Ansätze steht die Bayerische Verfassung etwas zu Unrecht im Schatten des Grundgesetzes von 1949. Das 70. Jubiläum der am 8.12.1946 in Kraft getretenen Verfassung war für den Kultusminister Ludwig Spaenle Anlass, die Schulen zu einem Projekttag aufzufordern. Am Gymnasium Donauwörth wurde daher von den Geschichts- und Sozialkundelehrern der 10. Jahrgangsstufen am 13.12.2016 eine mehrstündige Veranstaltung durchgeführt. Dabei wurden auch von den Schülern angefertigte Plakate vorgestellt, die Themenbereiche rund um die Entstehung der Verfassung erhellten sollten; letztere waren:
- die bayerische Verfassungstradition: Verfassungen von 1808, 1818, 1919 und 1946,
- Donauwörth und das Donau-Reis um 1946: Lebensbedingungen unter der Militärverwaltung und zur Zeit des wieder auflebenden politischen Lebens,
- die Erarbeitung der Bayerischen Verfassung (Verfassungsmacher, Streitfragen, Rolle der Amerikaner),
- die Bayerische Verfassung im Wandel der Zeit: die Veränderungen,
- Separatismus – in Bayern und im sonstigen Europa,
- die modernen Staatssymbole und die Hymne.
Dabei führten sich die Schüler gegenseitig durch die auf diese Weise entstandene Ausstellung, die an verschiedenen Stellen des Schulhauses errichtet worden war. In der dritten und vierten Stunde erhielt das Gymnasium zudem Besuch von Herrn Otto Schaudig (Vors. Richter am BayVGH, Mitglied des Bayer. Verfassungsgerichtshofs, Ansbach) und Herrn Hans Joas von der Hanns-Seidel-Stiftung. Herr Schaudig hielt in der Großen Aula vor den 10. Klassen einen inhaltlich ausgesprochen anregenden, durch seine lebendige und engagierte Art erfreulich ansprechenden und dank seines Erfahrungsschatzes als Richter auch sehr konkreten und durch Beispiele angereicherten Vortrag mit dem Titel „Die haben die Dinge auf den Punkt gebracht“, der manchen Schüler zu häufigen Zwischenfragen und -bemerkungen bewegte. Zu Beginn erklärte Herr Schaudig den Zehntklässlern, was ein Verwaltungsgericht für Aufgaben hat, und gab dann einen Überblick über die Geschichte der Verfassungen seit 1808. Anschließend ging er auf das Zustandekommen der Verfassung von 1946 ein und thematisierte deren Verhältnis zum Grundgesetz. Anlässlich des Gottesbezugs der Präambel sprach er den Mentalitätswandel seit der unmittelbaren Nachkriegszeit an und thematisierte zudem die der schweizerischen Verfassung entlehnten plebiszitären Elemente. Anschließend behandelte er die wichtigsten Verfassungsgrundsätze – durchaus auch an aktuellen Beispielen, wie etwa Jan Böhmermanns Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan oder auch der Diskussion um eine gleichwie geartete „deutsche Leitkultur“. Dass dabei, wie angesprochen, auch sehr radikale Ansätze in der Verfassung enthalten sein konnten, wie etwa der Möglichkeit zur Abschöpfung von nicht erarbeitetem Wertzuwachs von Grund und Boden in Privatbesitz durch den Freistaat, zeigt, dass das Werk von 1946 in seinen sozialen Ansätzen rigoroser war als das Grundgesetz, das eine derartige Option nicht vorsieht. Es wurden auch weitere Aspekte, die heute noch prägend sind (wie der freie Zugang zu Gewässern) oder keine Rolle mehr spielen bzw. abgeschafft wurden (wie der Senat) thematisiert, so dass allen Anwesenden Denkanregungen mitgegeben wurden und die Zuhörerschaft ein Gefühl dafür bekam, dass Verfassungen gewissermaßen etwas Lebendiges sind.
Dr. Christian Schwab