Wie dieser Mann Auschwitz überlebte
Noah Klieger war im Dritten Reich Insasse des Konzentrationslagers. Am Gymnasium in Donauwörth spricht er über die Gräueltaten der NS-Zeit, die er hautnah erfahren hat.
(Bericht aus der Donauwörther Zeitung vom 30.11.2017 von Fabian Kluge)
Als Noah Klieger von Auschwitz zu erzählen beginnt, ist es still in der Aula des Donauwörther Gymnasiums. Gebannt blicken Schüler und Lehrer auf den 91-Jährigen, lauschen seinen nüchternen, aber drastischen Worten. „Kein Jude kam nach Auschwitz, um zu leben. Wir sollten verrecken – ich sage bewusst verrecken, denn Menschen sterben nicht so.“
Im Alter von 16 Jahren kam Klieger im Januar 1943 ins Konzentrationslager nach Auschwitz. Im Nachhinein sagt er über diese Zeit: „Wer überleben wollte, brauchte eine Masse an Wundern.“ Ein solches ist ihm gleich nach der Ankunft im KZ widerfahren. Klieger musste sich mit 1500 anderen bei minus 25 Grad auf die Rampe stellen, da hätten drei SS-Offiziere gerufen: „Ihr kommt in ein zwölf Kilometer entferntes Lager. Alte, Kranke und Krüppel dürfen auf den Wagen, die anderen marschieren“, erinnert sich der Zeitzeuge.
Er und ein belgischer Freund sprangen auf den Wagen und trafen dort auf einen jungen SS-Mann aus dem ehemaligen Jugoslawien. Dieser zwang die beiden, wieder herabzuspringen, entsicherte sogar seine Maschinenpistole. „Dieser Mann hat mir das Leben gerettet, denn der Lastwagen fuhr direkt in die Gaskammer.“
Immer wieder lacht Klieger, sagt über sich selbst, dass er ein lebenslustiger Mensch sei – und ein gefragter noch dazu: Er hat zahlreiche Bücher verfasst („Zwölf Brötchen zum Frühstück“), ist Journalist, Publizist und war maßgeblich an der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 beteiligt. Zudem hielt er in diesem Jahr eine Rede vor der Vollversammlung der UNO, im Januar 2018 spricht er im spanischen Parlament in Madrid. Der 91-Jährige sieht das als seine Aufgabe an: „Ich habe mir vorgenommen: Sollte ich Auschwitz überleben, muss ich davon erzählen – nicht erklären, denn erklären kann man das nicht.“
Und deshalb erzählt Klieger weiter, von seinem zweiten, dem größten Wunder. Denn im KZ Auschwitz III-Monowitz gehörte der Zeitzeuge der Boxstaffel an, die dem KZ-Leiter Heinrich Schwarz Schaukämpfe bot, weil dieser ein großer Fan des Sports war. „Ein SS-Offizier fragte, wer Boxer sei. Vier haben sich gemeldet: zwei Niederländer – das waren Profis –, ein Torwart und ich. Ich war ein Straßenschläger, aber kein Boxer. Bis heute weiß ich nicht, weshalb ich mich gemeldet habe. Es war ein Bauchgefühl“, berichtet Klieger.
In der Boxhalle am Ring angekommen, habe ein großer, breitschultriger Häftling die vier Sportler mit den Worten empfangen: „Wehe euch, wenn ihr gelogen habt und keine Boxer seid, dann kommt ihr direkt in die Gaskammer.“ Deshalb habe er sehen wollen, was Klieger und die anderen drei können. „Die beiden Niederländer haben sofort mit dem sogenannten Schattenboxen begonnen, worauf der Häftling meinte, dass er uns glaube, dass wir Boxer sind“, sagt der gebürtige Straßburger.
Klieger traf dort auf zwei Profis, sogar einen Weltmeister. Diese hätten sofort erkannt, dass er kein Boxer sei. Deshalb erklärten sie sich bereit, den ersten Kampf mit ihm zu bestreiten. „Von meinen 22 Duellen in Auschwitz gewann ich kein einziges“, erinnert sich der Zeitzeuge und lacht wieder. KZ-Leiter Schwarz spendierte jedem seiner Boxer einen Liter Suppe täglich. „Das war richtige Suppe mit Kartoffeln und Fleisch. Diese sicherte mir das Überleben, denn sonst bekamen wir nur einen Liter Kaffee, eine kleine Brotration, ein Stück synthetische Margarine und Schweinsrübensuppe. Am Sonntag gab es noch ein Stückchen Wurst und einen Löffel Marmelade.“
Als Auschwitz schließlich evakuiert wurde, weil die Sowjets kamen, war Klieger auch beim berüchtigten Todesmarsch dabei. „Wir waren noch circa 60000. Weniger als 19000 sind angekommen. Wir sind aus Auschwitz gekommen, aber wir wurden nicht befreit. Ich denke jeden Tag an Auschwitz. Das kann man nicht vergessen“, erzählt er.
Nach dem Vortrag applaudierten die Schüler sichtlich beeindruckt. Schulleiter Karl Auinger und Geschichtslehrer Dr. Christian Schwab, die den Redner über die Hanns-Seidel-Stiftung engagierten, zeigten sich ebenfalls zufrieden. „Wir müssen die Erinnerung an die Verbrechen wachhalten“, stellte Auinger klar.
(Verfasser: Fabian Kluge, im Auftrag von Philumene Reiser; Dr. Christian Schwab)